- Erschwerungen und Kompensationen
- Ergebnisse aus der Diplomarbeit (Humboldt-Universität Berlin - Rehabilitationswissenschaften)
.
* ausführlicher Titel: "Lebenserschwerungen und Lebensgestaltung von Menschen mit der Sehschädigung Keratokonus"
[ Zuletzt bearbeitet ]
[ von: Frank B ]
[ Datum: 28.10.2005 ]
[ Uhrzeit: 01:25 Uhr ]
Irina Wahrendorf, Kontaktlinseninstitut, Petersburger Str. 66, 10249 Berlin, fon: 030/ 4 26 91 55, e-mail: i.wahrendorf@googlemail.com
Dipl.- Päd. (Rehabilitation), Optometristin, KL-Spezialistin
Artikel formatiert und ins Forum eingefügt von Frank B.
Inhaltsverzeichnis











































Literatur

Keratokonus (KK) ist eine chronische Krankheit, die wie jede andere chronische Erkrankung auch, einen Eingriff ins Leben der Betroffenen darstellt, der bewältigt, bzw. kompensiert werden muss. Je nach Persönlichkeit, Umweltbedingungen, Erfahrungen, Schweregrad der Erkrankung, Hilfen usw. wird diese Einschränkung unterschiedlich stark empfunden und verarbeitet.
Je besser die Bewältigung/ Kompensation gelingt, desto weniger fühlen sich die Betroffenen in ihrem Leben eingeschränkt, desto eher wird Normalität empfunden.
Beim KK ist das wichtigste Kompensationsmittel die Kontaktlinse, da mit Brillengläsern kaum nutzbare Sehergebnisse erzielt werden können. Mit Kontaktlinsen sind die meisten Menschen normalsichtig - ohne diese wären sie sehbehindert oder der Blindheit gleichzustellen. Durch die ambivalenten Besonderheiten dieser Krankheit haben Menschen mit KK eine Zwischenstellung zwischen Normalität und Behinderung.
In dieser Diplomarbeit wurde untersucht, in welchen Lebensbereichen sich Menschen mit KK eingeschränkt fühlen und wie sie diese Einschränkungen kompensieren. Dazu wurde ein Fragebogen entwickelt und eine schriftliche deutschlandweite Fragebogenuntersuchung durchgeführt. Die theoretische Grundlage des Fragebogens, sowie der Arbeit, ist das "Konstrukt der Kompensation von Sehschädigungen" nach Nater (1998; 2000).
Aus den Grundlagen dieser Theorie wurden Hypothesen formuliert, die mit dem Fragebogen untersucht wurden. Darüber hinaus wurden weitere Einschränkungen und Kompensationsstrategien erfragt.
Die Ergebnisse dieser Arbeit eröffnen den Blick für die bislang wenig beachteten Probleme der Betroffenen im Leben mit dem KK. Für Fachleute, die beruflich mit dieser Thematik in Berührung kommen, werden die Resultate sicher von Interesse sein.
In dieser Veröffentlichung können nur die wichtigsten Ergebnisse genannt werden. Die gesamten Ergebnisse können unter http://www.wahrendorf-kontaktlinsen.de nachgelesen werden.

Sehschädigungen können in allen Lebensbereichen Erschwerungen hervorrufen. Diese können überwunden oder abgeschwächt werden, wenn der Sehgeschädigte geeignete Ausgleichsmaßnahmen (Kompensationen) finden kann. "Kompensieren- Müssen" ist ein allgemein menschliches Phänomen. Jeder Mensch muss Unzulänglichkeiten in bestimmten Bereichen seines Lebens kompensieren. Menschen mit einer Sehschädigung müssen das nur intensiver tun. Kompensationserfahrungen aus anderen Bereichen des Lebens helfen dem Sehgeschädigten, diese auf die Sehbehinderung zu übertragen.
Bewusstes und unbewusstes Ziel des Kompensierens ist es, dass die Schädigung (Impairment) keine oder kaum Einschränkungen in der persönlichen Verwirklichung (Activity) und der gesellschaftlichen Teilhabe (Participation) verursacht (WHO Def.: ICIDH-2, Bleidick 2000). Das Gelingen ist von verschiedenen Faktoren abhängig.
So sind der Grad der Schädigung, die Umwelteinflüsse, die persönlichen Fähigkeiten, die Hilfsmittel, die Erziehung, soziale und emotionale Unterstützungen usw. dafür von Bedeutung.
Menschen mit KK haben aufgrund der Besonderheit der Erkrankung eine Zwischenstellung zwischen Normalität und Behinderung: Wenn Sehhilfen vertragen, optische ausreichen und täglich lange getragen werden können, wird Normalität erreicht. Wenn nicht, sind die Betroffenen überwiegend stark sehbehindert, manche der Blindheit gleichzustellen. Diese beiden Extreme können unter Umständen mehrmals am Tage wechseln. Diese Zwischenstellung wird sich auch in den empfundenen Lebenseinschränkungen widerspiegeln.
Zum Konstrukt (Abb.1):

Durch die strukturellen Veränderungen der keratokonischen Hornhaut wird diese in ihrer Funktion beeinträchtigt. Diese funktionale Beeinträchtigung kann zu Lebenserschwerungen in verschiedenen Bereichen/ Ebenen führen, welche miteinander verbunden sind. Folgende Lebensbereiche können beim KK beeinträchtigt werden:
- die psycho-somatische Ebene (Depressionen, Allergien)
- die motorische Ebene (Sport, Verkehr, O&M)
- die sensorische Ebene (Visus, Blendung, Kontrast)
- die kognitive Ebene (Denk- Merkfähigkeit, Konzentration)
- die sozial-emotionale Ebene (Interaktionen mit Umwelt)
- die existenzielle Ebene (Schicksalsbewältigung, materielle Lebensgrundlage).
Die stärksten Einschränkungen beim KK gibt es im sensorischen Bereich, der sich auf alle anderen Ebenen auswirkt.
Wenn für die Einschränkungen in den verschiedenen Ebenen geeignete Ausgleichmaßnahmen gefunden werden (vom Betroffenen selbst, oder mit Hilfe von außen), sind die empfundenen Einschränkungen geringer, es kann Normalität empfunden werden - soweit diese Theorie.
Aus den theoretischen Überlegungen resultierten folgende Hypothesen, die untersucht wurden:
1. Die Lebenserschwerungen und -einschränkungen, die Menschen mit KK empfinden, sind abhängig vom Schweregrad der Erkrankung.
2. Bei einem sich langsam entwickelndem KK sind die Lebenserschwerungen geringer, als bei schnellem Verlauf des KK.
3. Menschen mit KK, die noch an weiteren Krankheiten leiden, fühlen sich in der Lebensgestaltung mehr eingeschränkt, als KK-Patienten ohne andere Krankheiten.
4. Menschen, die ein positives soziales Netzwerk haben, empfinden weniger Lebens-einschränkungen durch den KK, als Menschen ohne soziales Netzwerk.
5. Eine positiv empfundene Diagnosemitteilung hilft bei der emotionalen Bewältigung und dem Annehmen der Krankheit KK.

Im Mai und Juni 2004 wurde eine schriftliche deutschlandweite Fragebogenuntersuchung zum Thema durchgeführt, für die ein spezieller Fragebogen entwickelt wurde. Die Fragebögen wurden zusammen mit einem Anschreiben der Kontaktlinsenspezialisten, bzw. Augenärzte an KK-Patienten, meist per Post, versandt (anfallende Stichprobe, Zufallsstichprobe). Das Anschreiben enthielt die vom Spezialisten eingetragenen Angaben über Visus sc, cc, KK-Grad, sowie Kosten der Sehhilfe, da in den Pretesten auffiel, dass die meisten Betroffenen hierüber keine Angaben machen konnten, diese aber für die Auswertung von entscheidender Bedeutung waren.
Insgesamt wurden 264 Fragebögen von 13 Interlensinstituten, und 2 Augenarztpraxen versandt (alle auf KK spezialisiert). Der Fragebogen konnte weiterhin übers Internet auf der Selbsthilfeseite http://www.keralens.de eingesehen und heruntergeladen werden. In der Stichprobe sind also vorrangig Betroffene, die bei Spezialisten (wahrscheinlich relativ gut) betreut werden, bzw. selbst an der Untersuchung interessiert waren. Andere Wege des Zustellens konnten wegen der befristeten Zeit und der begrenzten finanziellen Mittel nicht gegangen werden. Dieser Sachverhalt führt zu einer möglichen Verzerrung der Messergebnisse, und muss bei der Interpretation beachtet werden. Genauso kann es aber auch möglich sein, dass es keine weiteren Zugangswege, als die genannten gibt, da sich KK-Patienten letztendlich immer bei den Spezialisten wieder finden, um von ihnen betreut zu werden. Weitere und größer angelegte Studien würden diesen Punkt klären können.
An der Befragung nahmen Teilnehmer aus 12 Bundesländern teil. Aus den Ländern Hamburg, Saarland, Sachsen Anhalt und Thüringen wurden keine Fragebögen eingesandt.
Im Fragebogen wurden Einschränkungen in den verschiedenen Lebensbereichen (bezogen auf die Konstrukt-Ebenen, z.B. Haushalt, Wohnung, Konzentration, Verkehr, Freizeit, Sport, Beruf, Familie, Partner, Naharbeit, Interaktion mit Menschen) erfragt. Zum Bewerten der einzelnen Fragen wurden vierstufige Skalen angeboten (z.B. fühle mich "nicht/ leicht/ stark/ sehr stark eingeschränkt").
Die reine Rücklaufquote betrug 71,2% (ohne Nachfassaktion!) - zusätzlich mit den Interneteinsendungen konnten 192 Fragebögen ausgewertet werden. Zur Auswertung wurde das SPSS- Programm verwendet (Programm zum Erfassen und Auswerten soziodemographischer Daten). Ergebnis der Arbeit ist eine erste Datensammlung zum Thema KK unter rehabilitationspädagogischem Aspekt, in der Häufigkeiten dargestellt wurden.












Um die Hypothese 1 untersuchen zu können, mussten zuerst Gruppen gebildet werden, die eine ausreichende Anzahl von Betroffenen umfassen. Deshalb wurden die KK-Grade beider Augen einem KK-Typ (stark oder schwach) zugeordnet. Da selten beide Augen die gleichen Ausprägungsgrade haben, musste jeder einzelne Fall diesbezüglich untersucht und festgelegt werden.
- schwacher KK-Typ: - beide Augen Grad 1 oder 2, sowie
- ein Auge den Grad 0, 1, oder 2 und anderes Auge höheren KK-Grad
(z.B. 3, 4 oder transplantiert) da das Sehen binokular ist.
- starker KK-Typ: - beide Augen ab KK-Grade 3, sowie
- alle transplantierten Augen, wenn anderes Auge mindestens Grad 3 hat.
Nach dieser Definition sind 2/3 (66,1%) ein schwacher und 1/3 (33,9%) ein starker KK-Typ.

Die Unterschiede zwischen dem starken und dem schwachen KK-Typ bezüglich der Lebenserschwerungen und -einschränkungen sind insgesamt gering. Um Tendenzen deutlich machen zu können, wurden die Bewertungen der Teilnehmer zusammengefasst.
"Stark" und "sehr stark eingeschränkt" fühlen sich je nach erfragtem Bereich, zwischen 5-33% des schwachen KK-Typs, und 11-40% des starken KK-Typs. Um Tendenzen besser hervorzuheben, wurden außerdem all jene betrachtet, die sich überhaupt (leicht+ stark+ sehr stark) eingeschränkt fühlen.
Bei dieser Gegenüberstellung wird deutlich, dass die Menschen des starken KK-Typs tendenziell in allen Lebensbereichen stärker eingeschränkt sind, als die des schwachen Typs.
Weitergehend wurde erfragt, ob aufgrund des KK im Haushalt mehr kaputt ginge, ob Sport und Beruf aufgegeben oder gewechselt wurden, ob Veränderungen im Wohnumfeld vorgenommen werden mussten und ob mehr Konzentration bei Arbeiten usf. nötig wäre. Diese Bereiche wurden aber ohne eine Bewertungsskala erfragt. Beim Autofahren wurde, aufgrund der Sensibilität dieses Themas, nur allgemein erfragt, ob man Auto fährt, oder nicht. Es wurde kein Zusammenhang zwischen Autofahren und der Erkrankung hergestellt. Demzufolge sind in dieser Gruppe auch all jene, die unabhängig von der Erkrankung nicht Auto fahren.
Insgesamt ist auch bei diesen Fragen eine Tendenz festzustellen. Der starke KK-Typ hat häufiger Schwierigkeiten und Einschränkungen, als der schwache KK-Typ (Tab. 3).

Diese Unterschiede existieren, obwohl die Sehschärfen bei beiden KK-Typen größtenteils im Normbereich liegen.
Die vorliegenden Ergebnissen bestätigen die Hypothese 1, welche auf den sensorischen Aspekt des Kompensationskonstruktes bezogen ist: Menschen mit starkem KK fühlen sich tendenziell häufiger in den verschiedenen Lebensbereichen eingeschränkt, als Menschen mit schwachem KK.

Um die Hypothese 2 untersuchen zu können, mussten zuerst die Gruppen langsamer und schneller KK-Verlauf festgelegt werden. Dazu musste jeder einzelne Fall hinsichtlich Diagnosealter, jetziges Lebensalter, KK-Grad, sowie bei Transplantierten, die Differenz in Jahren zwischen der Diagnosestellung und der Transplantation untersucht und bestimmt werden.
- schneller KK-Verlauf: - zwischen Diagnose und Transplantation weniger/ gleich 5 Jahre,
- jetziger KK-Grad 3-4, dabei Beginn des KK vor max. 5 Jahren.
- langsamer KK-Verlauf: - wenn KK vor mehr als 5 Jahren begann, unabhängig vom KK-
Grad/ Transplantation,
- alle geringeren KK-Grade.
Nach dieser Definition, sind insgesamt nur 30 schnelle Verlaufsfälle in der Stichprobe (15,6%). Diese geringe Anzahl der Fälle ist bei der Auswertung der Ergebnisse zu beachten, da der Stichprobenfehler bei geringer Stichprobengröße größer wird.

Um genügend große Anzahlen auswerten zu können, wurden bei den Fragen nach den Lebenseinschränkungen, wieder die Antworten zusammengefasst, die sich "stark und sehr stark eingeschränkt" fühlen. Durch die Zusammenfassung können Tendenzen aufgezeigt werden.
Je nach erfragtem Bereich, fühlen sich 60 bis 90% der Teilnehmer beider Gruppen wenig oder nicht eingeschränkt. Einzige Ausnahme ist der kognitive Bereich. Hier haben nur 10% keine Einschränkungen in der Konzentration.
Die Gruppe des schnellen Verlaufstyps fühlt sich tendenziell in allen Bereichen mehr eingeschränkt, als die mit langsamen KK-Verlauf (Abb. 4).

Auch bei den Fragen, die nur das Vorhandensein bestimmter Einschränkungen in der Vergangenheit und der Jetztzeit prüfen, ohne Bewertungsskala, sind die Menschen mit schnellem KK-Wachstum, tendenziell mehr eingeschränkt, als jene mit langsamen Verlauf. Jene mit schnellem Wachstum mussten 16%, bzw. 11% häufiger sportliche Aktivitäten aufgeben, bzw. wechseln, als die Vergleichsgruppe. Unerheblich sind die Unterschiede beider Gruppen im Beruf, bei den Veränderungen in der Wohnung und der Konzentration.
Die Ergebnisse bestätigen die Hypothese 2, die auf den sensorischen und emotionalen Aspekt des Kompensationskonstruktes zielt. Die Menschen, die durch das langsame Verschlechtern des Sehens, sich allmählich an die Veränderungen gewöhnen können, empfinden tendenziell weniger Einschränkungen in den verschiedenen Lebensbereichen. Menschen, deren KK sich ständig verschlechtert, müssen mehr Energien aufbringen, um die Veränderungen kompensieren zu können. Sie müssen z.B. häufiger Spezialisten aufsuchen, um passende Sehhilfen zu bekommen und müssen sich ständig an die neuen und schlechteren Seheindrücke gewöhnen. Da die Sehhilfen beinahe immer Spezialanfertigungen sind, vergeht auch immer eine Wartezeit, ehe die neue Sehhilfe getragen werden kann. Eventuelle Schwierigkeiten mit der Bezahlung der Sehhilfen durch die gesetzlichen Krankenkassen sind, bei ständiger Veränderung und Erneuerung dieser, ebenfalls ein Problem. In unserer visuellen Gesellschaft können Ängste und Sorgen um die Zukunft größer werden, wenn der Konus ständig und schnell weiter wächst. Aus diesen Gründen sind die empfundenen Einschränkungen bei Menschen mit schnellem KK-Wachstum größer.

Das Festlegen der Gruppen zum Untersuchen der Hypothese 3 erfolgte anhand der Frage "Gibt es gegenwärtig, oder gab es früher, andere Erkrankungen?". Von 192 Teilnehmern haben oder hatten 117 (60,9%) noch weitere Erkrankungen und 75 (39,1%) haben oder hatten keine weiteren Krankheiten. Die Verteilung bei den Geschlechtern bezüglich des Vorhandenseins von weiteren Krankheiten ist statistisch gleich.

Es interessierte die Frage, welche Erkrankungen die Betroffenen haben, und wie sie sich durch diese beeinträchtigt fühlen. Er waren Mehrfachnennungen möglich. In der Tabelle 4 sind jene erfasst, die sich überhaupt durch die Krankheiten eingeschränkt fühlen.

Der überwiegende Teil fühlte sich nur "leicht beeinträchtigt". Bei den Bewertungen "stark" und "sehr stark beeinträchtigt" gab es nur einzelne Nennungen (zwischen 6 und 13). Ausnahmen sind "Trockene Augen" und "Heuschnupfen". Bei diesen Krankheiten fühlen sich 31 (26,5%), bzw. 29 (24,8%) von 117 stark, bzw. sehr stark beeinträchtigt.
Als andere Krankheiten wurden z.B. Bluthochdruck, Schilddrüsenerkrankungen, Augenkrankheiten, Wirbelsäulenschäden, Magen-Darm-Erkrankungen, Depressionen, Sinusitis Gelenkerkrankungen, Nerven- bzw. Hirnerkrankungen genannt.
Ein eindeutiger Unterschied zwischen beiden Gruppen, bezüglich der empfundenen Lebenseinschränkungen konnte nicht festgestellt werden. Werden die Bewertungen "stark und sehr stark eingeschränkt" zusammengefasst, gibt es keine eindeutige Präferenz einer Gruppe (Tab. 5, erste Spalte). Die "Größer/ Kleiner- als- Zeichen" machen deutlich, welche Gruppe die größere ist. Werden diejenigen zusammengefasst, die sich überhaupt eingeschränkt fühlen (letzte Spalte Tab. 5), überwiegen die Einschränkungen sogar bei der Gruppe ohne weitere Krankheiten.

Hypothese 3 betrachtet den psycho-somatischen Aspekt des Kompensationskonstruktes. Bei den Menschen mit KK dieser Stichprobe, hat das Vorhandensein von noch weiteren Krankheiten, keinen eindeutigen Einfluss auf die empfundenen Lebenseinschränkungen. Die vorliegenden Ergebnisse können die Hypothese 3 nicht bestätigen. Sie sind ein Hinweis darauf, dass das Krankheitserleben subjektiv ist.
Allerdings wurde die Reihenfolge des Auftretens der verschiedenen Krankheiten, sowie die Bedeutung für die Betroffenen nicht erfragt. Diese könnten u.U. eine Rolle für die Bewertung der Lebensqualität spielen.

Diese Hypothese zielt auf den existentiellen und sozial-emotionalen Aspekt, sowie den Umwelteinfluss (Kompensationskonstrukt).
Zum sozialen Netz zählen Vertrauenspersonen, wie Partner, Familie, Freunde, Bekannte und Gleichbetroffene. Die Partner, die Familie, sowie engste Verwandte und Freunde helfen bekanntlich am meisten bei Krisen (Brüderl 1988a,b; Engelbert 1994; Filipp 1995). Aus diesem Grund wurden bei dieser Hypothese, das Vorhandensein eines Partners, das Vorhandensein von Kindern, sowie das Leben in einem Mehrpersonenhaushalt, im Vergleich zu einer Gruppe ohne diese Merkmale, bezüglich der Lebenseinschränkungen untersucht.

Mit und ohne sozialem Netz fühlen sich die meisten Teilnehmer (70 bis 90%), je nach erfragtem Lebensbereich, nicht oder nur leicht eingeschränkt.
Um Unterschiede in beiden Gruppen deutlicher hervorzuheben wurden wieder jene Antworten zusammengefasst, die sich "stark+ sehr stark eingeschränkt", sowie "leicht+ stark+ sehr stark eingeschränkt" fühlen. Unabhängig von der Betrachtungsweise fühlen sich die Menschen, die in engen sozialen Netzen leben, tendenziell häufiger in den verschiedenen Lebensbereichen eingeschränkt, als die Menschen, die kein enges soziales Netz haben.
Auch bei den Fragen, die das Vorhandensein von Einschränkungen ohne Bewertungsskala eruieren, überwiegen diese bei den Menschen mit engem sozialen Netz. Exemplarisch wurden die Erschwerungen für jene mit und ohne Partner in Abb. 5 dargestellt.

Somit hat sich die aufgestellte Hypothese nicht bestätigt.
Die mögliche Ursache für diese Tendenz könnte die bewusst, oder unbewusst wahrgenommene Verantwortung für die engen Familienmitglieder sein. KK ist eine finale Erkrankung, bei der das Sehen in nicht vorhersagbaren Abständen schlechter werden kann. Einige Erkrankte können im fortgeschrittenen Stadium auch nicht mehr ihren Beruf ausüben, und somit u.U. nicht mehr ihrer Verantwortung für die engen Vertrauten gerecht werden. Anzumerken ist hierbei, dass zwei Drittel der Erkrankten Männer sind, welche in unserer Gesellschaft meist die Versorgerrolle für die Familie innehaben. Gerade für sie kann die Zukunft mit dieser Krankheit unsicher werden.

Aus der Behindertenpädagogik ist bekannt, dass das WIE der Diagnosemitteilung bei einer Behinderung (die eigene oder die eines geborenen Kindes) eine bedeutende Rolle für das Annehmen und Einleben in den bevorstehenden Lebensabschnitt hat (Engelbert 1999; 1994). Die Diagnosemitteilung wird weniger als Bedrohung empfunden, wenn sie empathisch, fachlich umfassend informativ, die Hilfen aufzeigend und die Prognosen beschreibend erfolgt. Die Erkenntnisse aus diesen Bereichen wurden auf die Erkrankung KK übertragen.
Um diese Hypothese untersuchen zu können, wurden die Fragen, wer die Erstdiagnose vorgenommen hat, wie diese beurteilt wurde, welche Gefühle damit verbunden waren und wie lange diese Gefühle angedauert haben, zu Gruppen zusammengefasst und miteinander verglichen. Anzumerken ist, dass diese Angaben und Beurteilungen vom überwiegenden Teil der Befragten für die Vergangenheit gemacht wurden, was zu einer Verzerrung der Ergebnisse führen kann.
Bei der Erstdiagnose wurden die Gruppen "Augenarzt", "Augenoptiker" und "Kontaktlinsenspezialist" gebildet.
Weiterhin wurde die Diagnosemitteilung von den Teilnehmern hinsichtlich Informationsreichtum, Ausführlichkeit, Einfühlsamkeit, Aufzeigen von Hilfsmöglichkeiten und Aufzeigen von Zukunftsperspektiven (mutmachend, zukunftsweisend) beurteilt.
Die Reaktionen und Gefühle nach der Diagnosemitteilung wurden für jeden einzelnen Teilnehmer dahingehend geprüft, ob die positiven/ neutralen, oder die negativen Gefühle dominierten. Dazu musste jedes einzelne Item (hatte Sorgen, war ängstlich, war verzweifelt, war erleichtert, wurde depressiv) auf die Bewertungen hin (trifft überhaupt nicht/ kaum/ weitestgehend/ absolut zu) geprüft und festgelegt werden.
Schließlich wurden noch die Gruppen "schnelle und langsame Akzeptanz der Diagnose" gebildet:
- schnelle Akzeptanz: - wenn Gefühle wenige, einige Tage/ Wochen angedauert haben.
- langsame Akzeptanz: - wenn Gefühle wenige Monate/ Jahre, bis heute noch anhalten. Bei der letzten Bewertung ("hält noch an") musste das Diagnose- und Lebensalter der Befragten beachtet werden, um eine Zuordnung zur schnellen oder langsamen KK- Akzeptanz vornehmen zu können.

Es konnten die Diagnoseeinschätzungen von 188 Teilnehmern ausgewertet werden.
In vorliegender Stichprobe hat bei 147 Fällen (76,6%) der Augenarzt, bei 9 Fällen (4,7%) der Augenoptiker und bei 32 Fällen (16,7%) der Kontaktlinsenspezialist die Erstdiagnose vorgenommen. Die fehlenden 2% waren Antwortausfälle.
Aus Abb. 6 ist die zusammengefasste Bewertung der Erstdiagnose für die verschiedenen Berufsgruppen ersichtlich.

Nach der Diagnosemitteilung hatten von allen Teilnehmern:
- 27,4% positive/ neutrale Reaktionen oder Gefühle,
- 58,4% eher negative Reaktionen oder Gefühle,
- 14,2% keine Angaben, bzw. keine Erinnerung.
Die häufigsten Reaktionen auf die Diagnosemitteilung waren (im weitesten Sinne)
- Sorgen (79,7%),
- keine Gewissheit haben (77,1%),
- Ängstlichkeit (65,6%),
- Verzweiflung (46,9%),
- Depressionen (22,9%).
Jene, die eine negative Diagnosemitteilung erlebt haben, hatten danach tendenziell mehr negative Gefühle.
Weiterhin wurde die Dauer dieser Gefühle nach der Diagnosemitteilung erfragt. In Abb.7 sind die schnellen und die langsamen KK-Akzeptanzen in Abhängigkeit von der Diagnosemitteilung dargestellt.

Die Menschen, die eine schlechte Diagnosemitteilung erlebt hatten, brauchten auch häufiger länger für das Annehmen der Erkrankung. Der relativ hohe Anteil derjenigen, die sich nicht mehr erinnern konnten, könnte ein Hinweis auf einen Verdrängungsmechanismus sein.
Die Ergebnisse bestätigen die aufgestellte Hypothese, die sich auf den existenziellen und sozial-emotionalen Aspekt des Konstruktes bezieht. Das WIE der Diagnosemitteilung, hat einen Einfluss auf die emotionale Verarbeitung der Erkrankung KK und dessen Annahme: Eine positive Diagnosemitteilung verkürzt die Dauer der negativen Reaktionen und Gefühle danach. Wichtig sind ein hohes Maß an Emotionalität, Zeit und fachlicher Versiertheit.


Wichtigstes Kompensationsmittel bei Einschränkungen im sensorischen Bereich sind Sehhilfen. Durch diese ist ein fast normales Sehen möglich:

Insgesamt benutzten 190 (99%) der Teilnehmer Sehhilfen, davon:
- Kontaktlinsen 81,6%
- Brille 11%
- Brille+ Kontaktlinsen 7,4%
Das heißt, dass insgesamt 89% der Befragten Kontaktlinsen tragen, und insgesamt 18,4% eine Brille haben. Sklerallinsen, Lupen und andere vergrößernde Sehhilfen werden von den Befragungsteilnehmern nur sehr eingeschränkt genutzt (Einzelnennungen). Die Tragezeiten sind aus Tab. 6 ersichtlich.


Über 70% der Teilnehmer ist zufrieden ("ziemlich+ sehr zufrieden" zusammengefasst) mit der Sehhilfe: - Kontaktlinsenträger (n = 155): 83,3%
- KL + Brillenträger (n = 16): 81,3%
- Brillenträger (n = 21): 71,4%.
Aus Tab.7 ist ersichtlich, wie die Einzelbewertungen für die Merkmale der Sehhilfen ausgefallen sind.


Leider gibt es keine Festlegung, ab welcher Visusstufe Alltagaufgaben ohne Schwierigkeiten ausgeführt werden können. Eine Ausnahme bildet das Autofahren. Dieses ist in Deutschland ohne Einschränkungen erlaubt, wenn beide Augen einen Visus von 0,7 aufweisen. Erfahrungsgemäß sind auch die Alltagsaufgaben bis zu dieser Visusstufe ohne Einschränkungen ausführbar. Aus diesen Gründen wurde die Visusstufe 0,7 als kritisches Merkmal zur Interpretation angenommen.
Wie die Ergebnisse zeigen (Tab.8 ), sind die meisten KK-Patienten mit ihrer Sehhilfe sehr gut auskorrigiert.

Insgesamt haben fast 90% der Teilnehmer eine Sehschärfe, die im Normbereich, oder darüber liegt. Es ist aber auch ersichtlich, dass ein Auge, trotz hoher binokularer Werte, weit unter der Norm liegen kann.

Bei der Kompensation in diesem Bereich geht es um Orientierung und Mobilität, die Teilnahme am Verkehr, sowie sportliche Aktivitäten. Von diesen wurden die Kompensationsmöglichkeiten im Verkehr und im Sport untersucht.

Von allen Teilnehmern gaben 77,1% an, sich im Straßenverkehr durch den KK eingeschränkt zu fühlen, 83,3% (n = 160) gaben an, selber Auto zu fahren.
Ausweichmöglichkeiten, wenn kein Auto genutzt werden kann, wurden nur von 102 (63,7%) Personen gemacht: das Ausweichen auf den ÖPNV, das Radfahren und Mitfahrgelegenheiten.

Da das Sehen beim KK sehr anstrengend sein kann, ist die sportliche Betätigung eine Möglichkeit, sich zu entspannen und zu regenerieren. 88,5% der Teilnehmer treiben Sport. 38 Personen gaben an, wegen des KK sportliche Aktivitäten aufgegeben zu haben (Mehrfachnennungen waren möglich). Diese Sportarten waren:
1. Schwimmen/ Tauchen/ Wassersport (13 Fälle),
2. Federball/ Tennis/ Tischtennis/ Squash u.ä. (12 Fälle),
3. Handballspielarten (9 Fälle),
4. Radfahren (4 Fälle),
5. Laufen (3 Fälle).
Sportarten, die von den Teilnehmern (n = 170) derzeit ausgeübt werden (bzw. stattdessen), sind:
1. Radfahren, Mountainbike (49,4%),
2. Laufen, Wandern, Walken (45,9%),
3. Fitness, Gymnastik, Krafttraining (40,6%),
4. Schwimmen/ Tauchen; Wassersport (32,4%),
5. Fußball (11,8%),
6. Skifahren; Federball/ Tennis/ Tischtennis/ Squash (jeweils 8,8%)
7. Handballspielarten; Inline-Skating (jeweils 7,1%).
Erstaunlich ist, dass fast die Hälfte der sportlich Aktiven Rad fahren (Zugluft, Fremdkörper unter KL). Erwartungsgemäß werden die körpernahen und ruhigen Sportarten am zweit- und dritthäufigsten betrieben.

Im Kompensationskonstrukt sind sprachlich-kognitive Einschränkungen beschrieben. Beim KK sind, wegen des späten Auftretens, in der sprachlichen Ebene keine Einschränkungen zu erwarten. Wahrscheinlicher sind Einschränkungen im Denken und Merken. Da dieses Thema missverstanden werden könnte, wurden nur Konzentrationseinschränkungen erfragt, weil diese für Denk- und Merkvorgänge wichtig sind. Wie schon dargestellt, geben fast 90% der Teilnehmer Einschränkungen in diesem Bereich an.
Möglichkeiten dieses Defizit zu kompensieren (Mehrfachnennungen waren möglich) sind:
1. Pausen und Entspannungsübungen (meditative Übungen, autogenes Training, Augen- und Arbeitspausen),
2. andere Arbeitsorganisation (Arbeitszeit verkürzen, so einteilen, dass die Augen nicht überreizt werden),
3. Lichtverhältnisse/ Optik verbessern (bessere Beleuchtung Arbeitsplatz, richtiger Lichteinfall, Tageslicht, optimale KL tragen, Lupe benutzen, KL putzen, Nachbenetzen, PC-Schrift vergrößern, besserer Monitor),
4. gesündere Lebensführung (genügend Schlaf, gesunde Ernährung, viel trinken, Bewegung an frischer Luft, sportliche Aktivitäten, positive Lebenseinstellung).

Bei den Kompensationsmöglichkeiten unter sozial-emotionalen, Aspekt geht es um die Interaktion mit Menschen und um die Emotionsverarbeitung der Krankheit.

Durch die verschlechterten Sehbedingungen kann es beim sozialen Umgang mit Menschen zu Einschränkungen kommen. Bei den Hypothesenergebnissen wurden die Einschränkungen des Umgangs mit Menschen schon mitbehandelt.
Von allen Teilnehmern fühlen sich - 42,7% beim Begrüßen von Menschen,
- 68,2% beim Erkennen von Menschen und
- 51,6% beim Erkennen von Gestik und Mimik
eingeschränkt (im weitesten Sinne). Als Ausgleichsmaßnahmen wurden genannt:
- Situation überspielen (28,1%),
- näher herangehen (57,8%),
- Schwierigkeiten benennen (52,1%).
Weitere Hilfsmaßnahmen waren das Verbessern der optischen Gegebenheiten (z.B. nie gegen die Sonne mit jemanden reden, Kontaktlinsen immer tragen, Nachbenetzen), leider auch "Kontakt vermeiden" (Einzelnennungen bei: länger hinsehen/ an bestimmten Details orientieren/ nur in Begleitung ausgehen).

Menschen, die an der gleichen Erkrankung leiden, begegnet man häufig offener, als üblich. Durch diesen Kontakt können Wege des Suchens (z.B. nach Spezialisten) verkürzt werden. Der Kontakt zu Gleichbetroffenen kann auf der emotionalen Ebene stützend wirken, und helfen das eigene Schicksal zu relativieren.
Selbsthilfegruppen beim KK gibt es, außer im Internet (http://www.keralens.de), keine in Deutschland. Nur 24 Teilnehmer hatten Kontakt zu dieser privaten Homepage. Sie stimmen fast mit den Personen überein, die den Fragebogen von dort bezogen haben. Sechs weitere Teilnehmer suchen eine Selbsthilfegruppe.
An anderer Stelle wurde gefragt, wie stark Gespräche mit Gleichbetroffenen geholfen haben, um mit den veränderten Sehbedingungen zu Recht zu kommen. Es machten 75 Teilnehmer Angaben hierzu: 31 haben die Gespräche gar nicht geholfen, 16 Personen ein wenig und für die restlichen 28 Personen waren die Gespräche überwiegend und stark hilfreich.

Bei der Kompensation unter existenziellem Aspekt geht es, wie schon erwähnt, um die Sicherung der materiellen Lebensgrundlage und die Schicksalsbewältigung, welche z.T. schon unter den anderen Punkten erarbeitet wurden.

72,4% aller Teilnehmer sind berufstätig. Sieben mussten wegen dem KK ihren Beruf vollkommen aufgeben und 22 ihren Beruf wechseln.
Um ihre Arbeit zu erleichtern, haben 33 Personen Veränderungen am Arbeitsplatz vorgenommen: - größerer Monitor/ Flachbildschirm,
- Beleuchtung am Arbeitsplatz verbessern,
- PC-Schrift vergrößern,
- Unterlassen bestimmter Arbeiten (z.B. Filigranarbeiten),
- Arbeitszeit verkürzen, weniger PC-Arbeit,
- Telefon mit größerer Tastatur.

Im häuslichen Umfeld wurden von 25 Personen Änderungen vorgenommen, um den Alltag zu erleichtern: - Beleuchtung verbessern,
- bauliche Veränderungen (bessere Kennzeichnung von Türen/ Treppen;
mehr Kontraste in der Wohnung; breitere Gartenwege/ Einfahrten;
übersichtliche Einrichtung; Barriere freie Einrichtung).

Menschen mit KK sind ab Diagnosestellung meist ihr Leben lang in medizinisch- und optisch-fachlicher Betreuung. Ein kompetenter Fachmann ist für die meisten KK-Patienten ein Garant für ein normales Leben, was in gewisser Weise auch ein Abhängigkeitsverhältnis darstellt. Er kann und sollte die Betroffenen nicht nur fachlich einwandfrei betreuen und beraten, sondern auch für die Sorgen und Ängste ein Ansprechpartner sein. Im Idealfall können dadurch Leidenswege verkürzt und gemildert werden, die Erkrankung angenommen und relativiert werden. Um den Ist- Zustand im Hinblick auf die Beratung und Betreuung zu erfassen, wurden diesbezügliche Items erfragt. In Abb. 8 sind die zusammengefassten Beurteilungen (unzufrieden+ sehr unzufrieden/ zufrieden+ sehr zufrieden) für die relevanten Berufsgruppen dargestellt.

Die Zufriedenheit mit der optisch-medizinischen Betreuung der Fachleute ist aus Abb. 9 ersichtlich.

KK ist in der Bevölkerung eine sehr unbekannte Erkrankung. Aber auch bei Fachleuten ist das Wissen um diese Sehschädigung, durch die (relative) Seltenheit des Auftretens, wenig parat. Kontaktlinsenspezialisten sind normalerweise auf diese Erkrankung spezialisiert, und darum auch größtenteils auf dem neuesten Wissenstand, was Forschung und Versorgung angeht. Deshalb ist bei ihnen das Wissen um diese Erkrankung normalerweise abrufbereit, was sich in den Ergebnissen niederschlug.

Am Ende des Fragebogens wurde danach gefragt, ob man, aufgrund seiner Erfahrungen mit KK, einem anderen Menschen mit dieser Erkrankung empfehlen würde, Kinder zu bekommen. Da KK ja erblich sein kann (bei 10 -20%), könnte diese Frage eine Rolle spielen.
Diese Frage wird als Gradmesser für die Akzeptanz der Erkrankung angesehen. Ihr liegt die Vermutung zu Grunde, dass jemand, der die Krankheit KK in sein Leben integriert hat, sie nicht mehr als Bedrohung empfindet und auch keine Bedenken für die eigenen Kinder hat.
78,2% aller Teilnehmer würden empfehlen, trotz KK, Kinder zu bekommen. Nur zwei Teilnehmer (1%) haben diese Frage verneint. Ein Fünftel (20,8%) haben sich noch nicht entschieden.
Dieses positive Ergebnis stimmt mit den anderen Ergebnissen, dass sich der überwiegende Teil der Befragten wenig oder nicht in den verschiedenen Lebensbereichten eingeschränkt fühlt, überein.

Insgesamt fühlt sich etwa ein Drittel aller Teilnehmer in den wichtigsten Bereichen des Lebens (Mobilität, Existenz, Soziales) stark und sehr stark eingeschränkt.
Bei den Hypothesenergebnissen wurden Tendenzen deutlich. So fühlen sich Menschen mit einem starken KK, sowie Menschen, die einen schnell wachsenden KK haben tendenziell in allen Lebensbereichen etwas mehr eingeschränkt als die Menschen des schwachen, bzw. langsamen KK (Hypothese 1+2). Weiterhin konnten diejenigen, die eine gute Diagnosemitteilung hatten, die Erkrankung schneller in ihr Leben integrieren, als jene, welche die Diagnose negativ erlebt hatten (Hypothese 5). Hypothese 3+4 konnte nicht bestätigt werden: wenn der KK mit noch weiteren Krankheiten auftritt, muss das nicht zu mehr Einschränkungen führen. Weiterhin wirkte sich das Vorhandensein eines sozialen Netzes nicht unbedingt erleichternd auf das Leben der Betroffenen aus. Bei letzter Thesen wurde die entgegengesetzte Tendenz deutlich, dass Menschen mit KK in sozialen Netzen eher mehr Lebenseinschränkungen empfinden.
Es wird darauf hingewiesen, dass es bei allen Ergebnissen auch Fälle gibt, die konträr zum statistischen Gesamtergebnis stehen. So sind z.B. unter den Menschen mit schwachem und sich langsam entwickelndem KK auch einige, die sich stark und sehr stark in ihrem Leben eingeschränkt fühlen. Wiederum gibt es welche, die die Diagnosemitteilung negativ erlebt haben und die Erkrankung schnell akzeptieren konnten. Diese Widersprüchlichkeit, jenseits der Tendenzen, wirft weitere Fragen auf, welche mit statistischen Methoden allein nicht beantwortet werden können. Das konkret zu untersuchen, wäre Gegenstand einer weiteren Arbeit.
Die insgesamt positiven Ergebnisse sind möglich, weil der überwiegende Teil der Befragten gut bis sehr gut mit dem wichtigsten Kompensationsmittel - der Kontaktlinse - versorgt ist. Diese Kompensationshilfe im sensorischen Bereich wirkt sich positiv auf alle anderen Lebensbereiche aus.
Bei den Ergebnissen ist der Zugang zur Stichprobe zu beachten (s.o. Verteilung über spezialisierte Institute/ Praxen). Ob die Ergebnisse bei anderer Verteilungsgrundlage ähnlich sind, bliebe zu überprüfen.
Trotz der vorwiegend positiven Ergebnisse sind folgende Punkte von Bedeutung, um die Lebenssituationen von Menschen mit KK zu verbessern:

Menschen mit KK sind größtenteils ihr ganzes Leben lang auf spezielle Sehhilfen - meist Kontaktlinsen - angewiesen. Aus diesem Grund sollen die Versorgung, sowie die Betreuung durch Kontaktlinsenspezialisten, Augenoptiker und Augenärzte auf höchstem Niveau und regelmäßig erfolgen. Genügend Zeit, aktuelles Fachwissen und psychologisches Einfühlungsvermögen sind dabei wichtig. In einigen Fällen, in denen Betroffene mit der Diagnose oder der Erkrankung emotional große Schwierigkeiten haben, kann ggf. psychologische Betreuung angezeigt sein. Hier sollten geeignete psychologische Fachleute bekannt sein, wohin überwiesen werden kann. Dieses Thema wirft ein weiteres auf, nämlich das der notwendigen Interdisziplinarität

Bei KK-Patienten ist die Betreuung durch den Augenarzt, genauso wichtig wie die durch den Kontaktlinsenspezialisten. Manchmal ist auch die Betreuung durch einen Augenoptiker oder in einer Klinik sinnvoll (bei Transplantationen). Die derzeitige Praxis ist leider häufig noch weit von einem konkurrenzfreien Informationsaustausch unter Fachleuten entfernt. Dieser wohlwollende Austausch ist aber notwendig, um die gesundheitliche, sowie die emotionale Betreuung für die Betroffenen zu verbessern. Nach eigenen Erfahrungen ist Interdisziplinarität möglich, wenn jede Berufsgruppe die eigenen Stärken nicht überbewertet und eigene "Unkenntnisse" akzeptiert. Nicht jede Berufsgruppe muss alles können. Der Fachmann/frau muss aber wissen, wer ein auftretendes Problem lösen kann (Kompetenzwissen), und den Betroffenen im Bedarfsfall, mit den notwendigen Informationen, dorthin überweisen. Patienten sehen dieses Überweisen meistens als Stärke und verantwortungsvolle Betreuung an, und lassen sich weiterhin gerne von den verschiedenen Fachleuten betreuen.

Die Diagnoseerstellung ist, wegen der relativen Seltenheit der Erkrankung und der Schwierigkeiten die Anfangsstadien zu erkennen, häufig unbefriedigend für die Betroffenen. Die meisten haben eine Odyssee des Suchens und Bangens hinter sich, ehe die richtige Diagnose und Versorgung erfolgt. Eine frühzeitige, fachliche fundierte, emotional einfühlsame, und umfassende Diagnosemitteilung (Krankheitsbild, Ursachen, Hilfen, Prognosen) ist, wie gezeigt, wichtig für das Annehmen- Können der Erkrankung. Wichtig hierbei sind wertfreie Informationen, die die Krankheit relativieren: Durch die guten optischen und medizinischen Hilfsmöglichkeiten, sind die Prognosen für Menschen mit KK relativ gut - in den meisten Fällen ist ein nahezu normales Leben möglich.

Etwa jeder 2000ste Einwohner der BRD hat KK. Diese Häufigkeit des Auftretens steht in keinem Verhältnis zu der verschwindend geringen Bekanntheit der Erkrankung in der Öffentlichkeit. Gut ein Drittel der Teilnehmer hat dieses als den Alltag erschwerend benannt.
Andere Krankheiten, die seltener oder gleich selten vorkommen, sind wesentlich bekannter, beispielsweise - das Prader-Willi-Syndrom (0,5 bis 1 : 10000),
- Neuerkrankungen an Epilepsie (1 : 2000),
- Autismus (0,5 bis 1 : 2500) oder
- das Retinoblastom (1: 20000) (Kail et al. 2004; Steinhausen 1996).
Die Uninformiertheit der Öffentlichkeit sollte dahingehend behoben werden.

Um die häufig nicht zufriedenstellende Situation in der Diagnostik, Versorgung, Betreuung und Bekanntheit bei KK zu verbessern, wäre es wichtig, eine überregionale, interdisziplinäre und kompetente Beratungsstelle zu schaffen. Sie wäre Ansprechpartner für Patienten, deren Angehörige, Ärzte, Augenoptiker, Kontaktlinsenspezialisten, Krankenkassen, Rehabilitations-pädagogen und andere Wissbegierige gleichermaßen.
Eine solche Beratungsstelle müsste das Wissen um die Erkrankung bündeln, seriös, individuell und verantwortungsvoll beraten, sowie Öffentlichkeitsarbeit leisten. Ihre Mitarbeiter müssten das Wissen um die Erkrankung ständig aktualisieren. Das betrifft die medizinischen und optischen Versorgungs- und Betreuungsmöglichkeiten, Operationsmöglichkeiten, Ursachenforschung, die angrenzenden Forschungsgebiete, sowie andere Rehabilitationsmöglichkeiten. Die Mitarbeiter einer solchen Institution sollten in regelmäßigem fachlichen Austausch mit auf den KK spezialisierten Fachkräften stehen.
Gäbe es weiterhin in jedem Land (der Welt) eine solche Beratungsstelle, könnten die das Krankheitsbild betreffenden Daten und Fakten, verglichen werden, und die längst überfällige Forschung vorangetrieben werden.
Eine solche Beratungsstelle sollte auch über Kompetenzen bei psychischen Problemen der Patienten, oder ihrer Angehörigen, bei Fragen der Finanzierung der Sehhilfen, bei weiteren rehabilitativen Maßnahmen und bei Fragen, die sozialen Belange betreffend, verfügen.
Besondere rehabilitative Angebote sind für die KK-Patienten wichtig, die keinerlei Sehhilfen vertragen. Diese Menschen sind oft hochgradig sehbehindert und benötigen entsprechende Kompensationsangebote.
Literatur
BLEIDICK, U.: Theorien zur Psychologie der Menschen mit Behinderung. In: Borchert, J. (Hrsg.):
Handbuch der Sonderpädagogischen Psychologie. Göttingen u.a.: Hogrefe Verlag 2000, 127-134.BRÜDERL, L. (Hrsg.): Belastende Lebenssituationen. Weinheim/München: Juventa-Verlag 1988a.
BRÜDERL, L. (Hrsg.): Belastende Lebenssituationen. Weinheim/München: Juventa-
Verlag 1988a.
BRÜDERL, L. (Hrsg.): Theorien und Methoden der Bewältigungsforschung. Weinheim/München:
Juventa-Verlag 1988b.
ENGELBERT, A.: Familien mit behinderten Kindern. In: Grunow, D. et al: Gesundheit und
Behinderung im familialen Kontext. München: Juventa-Verlag 1994.
ENGELBERT, A.: Familien im Hilfsnetz. Weinheim/München: Juventa-Verlag 1999.
FILIPP, S. (Hrsg.): Kritische Lebensereignisse. Weinheim: Psychologie Verlags Union1995.
KAIL, E. et al.: Genetisch bedingte Erbkrankheiten. Online im Internet: (http://www.m-
ww.de/krankheiten/erbkrankheiten/index.html [Stand 2.6.2004].
NATER, P.: Neuere Aspekte zum Konstrukt der Kompensation von Sehschädigungsfolgen. In:
Verband d. Blnd.- und Sehbehindertenpäd. e.V. (Hrsg.): Lebensperspektiven -
Kongressbericht. Würzburg: VzFB 1876 e.V. 1998, 217- 244.
NATER, P.: Blindheit und Sehbehinderungen. In: Borchert, J. (Hrsg.): Handbuch der
Sonderpädagogischen Psychologie. Göttingen u.a.: Hogrefe Verlag 2000,
932-948.
STEINHAUSEN, H.-C.: Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen. München 1996
============================================
Der oben aufgeführte Text
- Leben mit Keratokonus, Ergebnisse aus der Diplomarbeit -
ist ein Auszug aus dem Beitrag:
Diplomarbeit 2004 - Fragebogen zu KC
1. Teil:
http://www.forum.keratokonus.de/viewtop ... sc&start=0
2. Teil:
http://www.forum.keratokonus.de/viewtop ... c&start=25